„Das Erdgeschoss ist für den Charakter, die Identität und den Nutzwert einer Stadt prägend. Es bildet den Übergang zwischen öffentlichem und überbautem Raum, und an dieser Schnittstelle in der ebenerdigen Sockelpartie ist der Schauplatz für urbanes Leben und vielfältige Nutzungen – hier spielt sich das ab, was Stadt ausmacht“
(bulwiengesa, 2020, S.4).
Relevanz:
Unsere Innenstädte befinden sich in einer Krise. Leerstehende Kaufhäuser und Geschäfte schmücken die Einkaufsstraßen vieler Städte. Die Corona-Pandemie hat den Einzelhandel zudem schwer getroffen und führte zur dauerhaften Schließung zahlreicher Betriebe. Während die Einkaufsstraßen heute zunehmend von Filialisten dominiert werden, müssen vor allem traditionsreiche und inhabergeführte Läden schließen. Dies führt zu einer Vereinheitlichung und Verödung des Stadtbildes. Zusätzlich zu den Leerständen etablieren sich Nutzungen mit niedrigen Qualitätsstandards, die sich negativ auf die Aufenthaltsqualität im gesamten Quartier auswirken.
Vision:
Damit unsere Städte in Zukunft wieder lebenswert werden, bedarf es eines Wandels. Wir glauben, dass die Stadt in Zukunft weg vom bloßen Handel und wieder mehr zum Gemeinschaftsprojekt werden muss.
Dabei sehen wir leerstehende Geschäftsflächen als wertvolle Ressource, die als gemeinschaftlich genutzte Experimentier- und Potenzialräume maßgeblich zur Attraktivität unserer Innenstädte beitragen können.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen alle Innenstadtakteure in den Kommunen zusammenarbeiten - von der Stadtverwaltung, über Gewerbetreibende bis hin zu kulturellen Anbietern sowie Bürgerinnen und Bürger. Partizipation und Inklusion stehen deshalb an oberster Stelle. Um einen offenen Diskurs zu fördern und die Gemeinschaft zu stärken, bedarf es außerdem einer Aufklärung und Aktivierung. Denn nur so können nachhaltige Konzepte und Nutzungsformen entstehen, die von der Kommune akzeptiert und genutzt werden.
Konzeption:
Aus diesem Grund entwickelten wir eine Kommunikationsstrategie, die spielerisch auf das Potenzial leerstehender Geschäftsflächen aufmerksam macht, über die Leerstandsproblematik informiert und zur Beteiligung einlädt. Dabei nutzten wir klassische Beteiligungsverfahren wie Umfragen und Fokusgruppen und erweiterten diese durch städtische Interventionen und kreative Schaufensterbespielungen leerstehender Ladenflächen.
Provokative Plakate:
Um die Bewohner Schwäbisch Gmünds über die Leerstandsproblematik aufzuklären und
den allgemeinen Diskurs zu fördern, suchten wir nach einfachen und effizienten Methoden, um deren Interesse zu wecken. Dabei entschieden wir uns für eine gezielte Provokation der oft negativ gestimmten Bewohner. Diese orientierten sich an den Bautafeln, die in der Architektur verwendet werden, um zukünftige Bauprojekte anzukündigen. In plakativer Schrift wurden mit dem Slogan “Hier entsteht ein…” verschiedene Nutzungskonzepte angepriesen.
Erst aus geringer Distanz war die Informationsebene des Plakats lesbar. Darin wurden die Bewohner über die aktuelle Leerstandsproblematik sowie über unser Projekt und das aktuelle Förderprogramm der Stadt Schwäbisch Gmünd hingewiesen. Mit den Worten „Du bist mit dieser Idee unzufrieden?“ erhielten die Bewohner über einen QR-Code die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden.
Gold-Folien-Aktion:
Weitere Schaufenster bespielten wir mit Gold und Silberfolien. So fielen die bisher wenig beachteten und unscheinbaren Schaufenster schon von weitem ins Auge. Texte wie “Potenzialraum”, “Lebensraum” oder “Gemeinschaftsraum” machten auf das mögliche Potenzial der leerstehenden Ladenflächen aufmerksam und verdeutlichten außerdem potenzielle Nutzungsformen. Ein QR-Code verlinkte auf unsere Website und gab Interessierten die Möglichkeit, sich über diese und weitere Aktionen zu informieren und selbst aktiv zu werden.
Social Media:
Während der Aktion hatten unsere Follower auf unserem Instagram Account „weissraum.gmuend“ die Möglichkeit live bei dieser und anderen Aktionen zuzuschauen.
Über Instagram Storys und Beiträge haben wir zudem über kommende Aktionen informiert und die Bewohner zum mitmachen eingeladen.
Innenstadt beleben und entdecken:
Um die Frequenz in den Seitengassen zu erhöhen, entwarfen wir verschiedene Schablonen mit Slogans, wie “Neuer Weg, neues Glück?”, “Neue Schätze entdecken?” oder “Heute schon flaniert?”. Diese wurden mit abwaschbarer Kreide auf die Fußgängerzonen von Schwäbisch Gmünd gesprüht. Um einen Wiedererkennungswert zu den bisherigen Aktionen zu erzielen, nutzten wir das Layout unseres Logos als Entwurfsvorlage für die Schablonen. Neben der Entdeckung von kleinen unscheinbaren Geschäften erwies sich die Aktion auch auch als hilfreich, um Anwohner und Besucher auf unsere Leerstandsbespielungen aufmerksam zu machen.
Unter dem Hashtag #gmuendentdecken riefen wir zum Teilen schöner und verborgener Orte der Gmünder Innenstadt auf. Dabei konnte es sich beispielsweise um den beneidenswerten Ausblick aus dem Fenster oder um einen schönen Ort handeln, den man beim Flanieren entdeckt hat. Zu jedem Foto konnten die Bewohner auch eine kurze Beschreibung anhängen oder uns eine Audioaufnahme schicken. Die gesammelten Fundstücke wurden in einer “interaktiven Schatzkarte” zusammengetragen. Auf diese Weise konnten wir die Bewohner Schwäbisch Gmünds spielerisch in die Innenstadt locken und die sonst wenig besuchten Seitenstraßen wiederbeleben. Um auf die Kampagne auch in der Offline-Welt aufmerksam zu machen, wurde diese Aktion mit der Kreide-Aktion verknüpft. Die gesammelten Fotos und Texte können in Zukunft Teil einer Ausstellung im Leerstand werden.
Fokusgruppen:
Neben den spielerischen Interventionen war es uns wichtig, auch gezielt auf die Bedürfnisse bestimmter Personengruppen einzugehen. Dazu nutzten wir klassische Partizipationsmethoden und planten über das Semester hinweg drei Fokusgruppen. Diese umfassten Kinder und Jugendliche, Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen sowie Bürgerinnen und Bürger und innerstädtische Akteure aus Schwäbisch Gmünd.
Letztendlich konnten wir zwei der drei geplanten Fokusgruppen durchführen und so weitere wertvolle und tiefergehende Erkenntnisse sammeln.
Webseite:
Alle gesammelten Ergebnisse werden auf unserer Webseite dokumentiert. Auf diese Weise schaffen wir eine transparente Informationsvermittlung, die allen Interessierten die Möglichkeit gibt, sich über unsere bisherigen Aktionen, Veranstaltungen und Meilensteine zu informieren.
Darüber hinaus bieten wir auf der Website Informationen zu allen anstehenden Veranstaltungen, so dass auch der weitere Prozess transparent mitverfolgt werden kann.
Ausblick:
Mobiler Weissraum
Der blaue Würfel dient als Wiedererkennungswert für Weissraum und soll dafür genutzt werden, schnell und einfach Bürger vor Ort zu beteiligen. Mit kreativen und vereinfachten Nutzungskonzepten wird er außerdem ein Ort des Zusammenkommens und ermöglicht einen unkomplizierten Austausch. In Zukunft kann der Würfel an verschiedenen Standorten und Städten aufgebaut werden, um zielgruppenspezifische Insights zu erhalten.
Städtische Intervention
Während der langen Einkaufsnacht konnten wir spontan und vereinfacht die Idee des Weissraum-Hubs umsetzen und testen. Mithilfe eines Dot-Votings konnten die Passanten schnell und spielerisch Fragen beantworten. Ein Plakat bot zusätzlich Platz für eigene Gedanken und Ideen. Ein „Kummerkasten“ erlaubte es, Kritik zu äußern, ohne diese öffentlich präsentieren zu müssen. Durch diese Aktion konnten wir mit den unterschiedlichsten Innenstadt Akteuren persönlich ins Gespräch kommen und wertvolle Erkenntnisse für den weiteren Prozess generieren.
Weitere Schaufensterbespielungen:
Im nächsten Schritt sollten aus den gesammelten Ergebnissen verschiedene Nutzungskonzepte entstehen, die in Leerständen als Reallabor getestet werden.
Für eine letzte Iterationsschleife haben wir hier die Aktion „Ich sehe was, was du nicht siehst entwickelt“. Hier können Passenten durch Gucklöcher verschiedene erarbeitete Nutzungskonzepte entdecken.
Mit den Satz: „Und was siehst du?“ bieten wir die Möglichkeit, über die gezeigten Nutzungen abzustimmen oder auch eigene Wünsche und Verbesserungsvorschläge einzubringen.
Leerstand als Reallabor:
Mit einem Leerstand könnten die erarbeiteten Ergebnisse in Nutzungskonzepte übertragen und zeitweise getestet und weiterentwickelt werden. Das Schaufenster bildet ein Passepartout, um die Nutzung bestmöglich zu präsentieren. So soll die Neugierde der Passanten geweckt und auf das Potenzial aufmerksam gemacht werden. Weissraum soll in Zukunft ein Ort des Zusammenkommens und Experimentierens werden.
Fazit:
Wie können die gewonnenen Erkenntnisse in Zukunft in die Praxis und auf andere Städte übertragen werden?
Abschließend ist zu betonen, dass jede Stadt individuelle Stärken und Schwächen aufweist. Mit den oben genannten Beteiligungsmethoden zeigen wir, wie alle Bewohner und innerstädtischen Akteure für eine spielerische Beteiligung gewonnen und in den Gestaltungsprozess einbezogen werden können. Auf diese Weise lassen sich die individuellen Stärken und Schwächen erörtern und anschließend ortspezifische Handlungsfelder ableiten.
Die Stadt Schwäbisch Gmünds zeichnet sich beispielsweise durch eine historische Altstadt aus. Zudem gibt es zahlreiche Kulturtreibende, Vereine, Ehrenamtliche sowie eine ausgeprägte Kreativbranche. Mit Weissraum wollen wir einen Begegnungsort schaffen, der allen interessierten Bewohnern Akteuren einen Raum gibt, eigene Projekte in leer stehenden Geschäftsflächen zu realisieren. Auf diese Weise kann die Stadt in Zukunft belebt und neue Individuelle und besondere Anziehungspunkte geschaffen werden, die über den bloßen Handel hinausgehen.
Quelle: bulwiengesa. (2020). Erdgeschosse 4.0: Aktuelle Handlungsansätze für Projektentwickler und Stadtplaner. In live.bulwiengesa.de. bulwiengesa AG. Abgerufen am 1. Januar 2023, von https://live.bulwiengesa.de/sites/default/files/2021-12/studie_erdgeschosse_4.0.pdf
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Carmen Hinderberger
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