Die Nutzung eines vermeintlich simplen Produkts wird von Studierenden dokumentiert.
Wie nutzerfreundlich ist ein Produkt?
Die äußere Form eines Interaction Mappings ermöglicht die schnelle Erfassung einzelner Bedienschritte, Probleme und auch erste Erkenntnisse. Den Studierenden wird die Wichtigkeit der Analyse kleinster Interaktionen für einen erfolgreichen Designprozess näher gebracht. Durch die visuell möglichst klare Aufbereitung des Mappings werden Grundlagen vermittelt.
Kai Wanschura, Maximilian Schulist, Johanna Wellnitz, Mark Meyer
Canon AE-1 Program
Aufgabe
Komplexe Sachverhalte erfassen und ein gemeinsames Verständnis dafür schaffen – das ist das Ziel des Interaction Mapping. Die Aufgabe bestand darin, ein Alltagsprodukt wie z.B. einen Wecker, eine Türklingel oder eine Kamera in einem Erstnutzungsszenario mit einer Person zu testen und die dabei gewonnenen Insights auf einem Poster zu visualisieren und auf Auffälligkeiten bei der Erstnutzung hinzuweisen.
Prozess
Ausgangssituation
Das Testgerät in diesem Erstnutzungsszenario war die Analogkamera Canon AE-1 Program. Die Testperson hatte die Aufgabe, einen 35mm-Farbfilm in die Kamera einzulegen. Dazu musste die Filmklappe geöffnet, der Film korrekt eingelegt und die Filmklappe wieder geschlossen werden. Anschließend sollte die Testperson ein Foto machen, wozu auch das Einschalten der Kamera gehörte. Die Testperson hatte noch nie zuvor eine analoge Kamera benutzt, es gab keine Zeitbegrenzung für diesen Test und es wurde die Think-Aloud-Methode angewandt. Festgehalten wurde der Test mit einer Video- und Tonaufnahme.
Mapping
Im nächsten Schritt wurde der Test mithilfe der Mapping-Methode erfasst und detailliert analysiert. Die Testperson benötigte etwa neuneinhalb Minuten, um alle Aufgaben erfolgreich zu lösen, wobei in vier Momenten Hinweise nötig waren. Die Erkenntnisse aus dem Test wurden auf einer Map in die Kategorien “doing”, “seeing”, “saying” und “feeling” aufgeteilt. Im Laufe der Analyse wurden dann “Moments of Truth” und erste Auffälligkeiten identifiziert und in Form von Insights festgehalten.
Insights
Bevor mit den ersten Entwürfen des Plakats begonnen werden konnte, wurden die aus dem Mapping-Schritt gewonnenen Insights formuliert, kategorisiert und mit Schlüsselmomenten verknüpft, die das Empfinden der Testperson und die “Moments of Truth” in der Testsituation widerspiegeln. Dabei wurden fünf Insights identifiziert.
Durch die hohe Anzahl und fehlende Beschriftung der Bedienelemente am Gerät ist nicht ohne weiteres erkennbar, welche Funktion welches Bedienelement hat. Dies führt schnell zu einer Überforderung bei der Bedienung und kann die nutzende Person stark verwirren.
Das Öffnen der Filmklappe und das Einschalten der Kamera war für die Testperson nicht leicht nachvollziehbar. Es wurde vermeintlich mit allen Bedienelementen interagiert, aber es passierte nichts.
Geräte von gestern und heute unterscheiden sich oft in der Art und Weise, wie man mit ihnen interagieren muss und wie sie Rückmeldung geben. Bei älteren Geräten muss oft etwas gezogen, gedrückt, gedreht oder verschoben werden. Dass die Testperson hier eine Überforderung empfand, könnte darauf hindeuten, dass sie an Geräte mit einer höheren Rückmeldefrequenz gewöhnt ist und daher mehr Feedback vom Gerät erwartet.
Die Testperson erkannte nicht, dass die Kamera noch nicht eingeschaltet war und daher der Auslöser nicht gedrückt werden konnte.
Die Rückspulkurbel dient zum Öffnen der Filmklappe und kann nach oben gezogen werden. Sie muss jedoch noch etwas weiter nach oben gezogen werden, um die Filmklappe zu öffnen.
Die Testperson hat ohne Hinweis nicht erkannt, dass die Rückspulkurbel weiter nach oben gezogen werden kann. Dass dies nicht weiter ausprobiert wurde, könnte an der Angst liegen, etwas am Gerät zu beschädigen, da es sich um ein filigranes und archaisches Gerät handelt.
Die Abkürzungen A (= Automatik), L (= Aus), S (= Selbstauslöser) für die verschiedenen Modi der Kamera und das Fehlen einer LED-Anzeige sind nicht leicht zu verstehen.
Für die Testperson war so nicht ersichtlich, ob die Kamera eingeschaltet war oder nicht. Auch hier war ein Hinweis notwendig.
Im Selbstauslöser-Modus und beim Auslösen eines Fotos gibt die Kamera ein auditives Signal in Form eines Piep- bzw. Klickgeräusches ab. An diesem Signal erkennt die Testperson, dass die Kamera ein Foto aufnimmt.
Da die Testperson eine Assoziation mit heutigen Digitalgeräten hat, wurde die vorhandene Unsicherheit in Sicherheit umgewandelt.
Entwürfe
Im Laufe der Ausarbeitung entstanden mehrere Ideen in Form von schnellen Skizzen, aus denen wiederum mehrere Plakatvarianten entstanden. Diese Varianten wurden mehrmals überarbeitet bzw. verworfen, bis schließlich das finale Design umgesetzt wurde.
Bei der Gestaltung des Posters wurde besonderer Wert auf ein einheitliches Layout und die Farbwahl gelegt. Dazu wurde ein vierspaltiges Raster mit einem Spaltenabstand von 12 mm festgelegt und eine Farbgebung gewählt, die sich an den Farben der Kamera (Silber und Schwarz) und des Kleinbildfilmherstellers Kodak (Gelb bis Orange) orientiert. Dies wurde auf dem Poster mit einem hellen Grauton, hellen Schwarz und hellen Orange umgesetzt. Technische Zeichnungen der Kamera von der Vorder- und Rückseite sowie des Kleinbildfilms und eine Illustration einer Fotoaufnahme sollen einerseits einen Überblick über das Testgerät geben und andererseits die Aufgabenbeschreibung unterstützen.
Der gesamte Gestaltungsprozess führte zum Endprodukt, einem A1-Poster, das durch die strikte Trennung von Aufgaben- und Produktbeschreibung sowie der Erläuterung der Insights den Eindruck einer Bedienungsanleitung für die Kamera vermittelt. Gleichzeitig unterstützen Illustrationen die Insights visuell.
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