Die Nutzung eines vermeintlich simplen Produkts wird von Studierenden dokumentiert.
Wie nutzerfreundlich ist ein Produkt?
Die äußere Form eines Interaction Mappings ermöglicht die schnelle Erfassung einzelner Bedienschritte, Probleme und auch erste Erkenntnisse. Den Studierenden wird die Wichtigkeit der Analyse kleinster Interaktionen für einen erfolgreichen Designprozess näher gebracht. Durch die visuell möglichst klare Aufbereitung des Mappings werden Grundlagen vermittelt.
Kai Wanschura, Maximilian Schulist, Johanna Wellnitz, Mark Meyer
Kochfeld
Begrifflichkeiten
Bei der Interaction Map geht es darum, im Rahmen eines Testings die Interaktion mit einem für die Nutzer:innen fremden Produkt visuell zu dokumentieren. Es soll Designer:innen ermöglichen, aus Sicht der Nutzer:innen das Produkt in seinem Grundaufbau zu erfassen und daraus wertvolle Erkenntnisse, sogenannte Insights, zu generieren. Mit der Aufbereitung dieser Erkenntnisse entsteht aus den gesammelten Informationen ein Poster mit infografischen Elementen, das das Produkt im Bedienungskontext vollständig abbilden soll.
Steckbrief
Für den Test hat sich meine Kommilitonin Marsha zur Verfügung gestellt. Sie hatte davor noch keine Erfahrung mit einem Elektrokochfeld wie diesem gesammelt. Sie gehört zur Generation Z, stammt aus dem Jahrgang 2001 und ist vom Charakter her ein ruhiger und besonnener Mensch. Die Testperson war allein mit der Aufgaben erteilenden Person im Raum. Der Benutzungskontext war ein Interview, welches nach dem Testingvorgang angesetzt war. Die Untersuchung hatte mit nur einer Testperson einen hohen qualitativen Schwerpunkt. Die Seiten- und die Vogelperspektive wurden als Aufnahmemethode herangezogen, um sowohl die Emotionen als auch Handbewegungen während der Interaktion für die nachfolgende Analyse mit aufzuzeichnen. Neben der Videodokumentation wurde die Methode des lauten Denkens, unter dem Namen “Think Aloud” bekannt, eingesetzt, um Einblicke in die Denkprozesse und Gefühlswelten der Proband:in zu erhalten.
Gegenstand und Aufgabe
Der untersuchte Forschungsgegenstand ist ein aus Glaskeramik gefertigtes Elektrokochfeld der Marke Amica mit der Nennleistung KMC. Es verfügt über zwei Kochzonen mit einem Durchmesser von 145 bis 180 Millimetern. Das Bedienungssystem ist ausschließlich mit berührungsempfindlichen, nicht haptischen Sensorschaltern sowie mit akustischem Feedback ausgestattet.
Die Aufgabe bestand darin, den Timer auf 10 Minuten einzustellen und mindestens eine der beiden Kochzonen auf mittlere Stufe hochzustellen. Nach Ablauf von ein paar Minuten sollten das gesamte Kochfeld und damit auch der Timer wieder ausgeschaltet werden. Neben dem Kochfeld wurde ein Topf mit Wasser gestellt. Das Testing alleine nahm dabei ungefähr 13 Minuten in Anspruch.
Aufbau
Die Interaction Map wird vertikal in ihre drei Grundpfeiler Doing, Saying und Feeling unterteilt. Die dreiteilige Struktur verfolgt die Absicht, die Handlungsbeschreibung mit dem Gesagten und dem Gefühlten zu verknüpfen, um die Effekte der Interaktion im Zusammenhang ausarbeiten zu können. Die Spalten grenzen dann die einzelnen Handlungen voneinander ab, die entlang der Timeline in unbestimmten Zeitintervallen aufgezeichnet werden.
Eine Spalte sollte dabei eine zentrale Handlung behandeln, die in ihren drei Abschnitten aufgespalten wird und in einem möglichen Insight mündet. In der untersten Reihe gliedern sich die erwähnten Insights zu wichtigen Schlüsselmomenten ein. Ergeben sich aus bestimmten Handlungen wichtige Merkmale zur Bedienweise des Geräts, werden diese Schlüsselmomente mit einem weiteren Post-it versehen, welche eine belastbare Evidenz bezüglich der Interaktionsgestaltung des Geräts beinhalten.
Nachfolgend weicht der Aufbau von üblichen Interaction Maps ab, weil die einzelnen, in dem Bild grüngefärbten Insights kategorisch gewichtet und sortiert werden. Daraus ist auch die blaue Spalte mit den sieben Kategorien entstanden, die wiederum zu den vier Oberkategorien namens Gestalt, Affordance, Feedback und Handhabung & Ergonomie zusammengefasst werden. Der Gedanke war, dass zwischen den einzelnen Insights noch wertvolle Informationen abgeleitet werden können. Deshalb habe ich beschlossen, die einzelnen Kategorien in jeder Spalte nochmals einzeln abzufragen, um eine genauere Verteilung der Kategorien über den gesamten Interaktionsfluss zu erhalten.
Insights
Ein Insight ist in diesem Zusammenhang eine Erkenntnis, die auf Basis der drei Grundpfeiler Doing, Saying und Feeling im Laufe einer oder mehrerer Handlungen durch Interpretation abgeleitet wird. Sie soll bestimmte Handlungsmuster aus der Interaktion aufzeigen, die man zuvor über mehrere Beobachtungen hinweg dokumentiert hat.
Es war mir besonders wichtig, in meinem Poster sowohl die quantitative als auch die qualitative Ausdehnung der Insights über den Interaktionsverlauf darzustellen. Dies führte im weiteren Verlauf des Projekts zu meiner Forschungsfrage, inwieweit und in welchem Ausmaß bestimmte Erkenntniskategorien die Handlungsabläufe und damit auch die Benutzerfreundlichkeit beeinflussen.
Gestalt
Aus dem Bereich der Gestaltpsychologie findet das Gesetz der Nähe Verwendung in meiner Übersicht von Insights. Es besagt, dass Elemente auch visuell miteinander gruppiert und als Verbund wahrgenommen werden, wenn die Abstände zwischen ihnen und im Vergleich zu anderen minimal sind. Demnach ist das Schlüsselsymbol, welches zum Sperren des berührungs-empfindlichen Bedienfelds gedacht ist, negativ aufgefallen, weil es von der Testperson mit dem Tastenfeld des Timers in Verbindung gebracht wurde, obwohl es für das gesamte Kochfeld zum Einsatz kommt.
Affordance (A.1)
Die Affordance beschreibt den Aufforderungscharakter eines Produkts, wie erfolgreich es der Nutzer:in seine Funktionalitäten und seine Bedienart vermittelt. So wurde im ersten der beiden Subkategorien deutlich, dass interaktionslose Anzeigen mit interaktiven Schaltflächen verwechselt wurden. Die äußere Gestaltung der interaktiven Schaltflächen findet auch Anwendung im dekorativen Uhrzeitsymbol, was zur Folge hatte, dass diese interaktionslose Anzeige mehrmals ausgewählt wurde.
Affordance (A.2)
Eng damit verbunden ist der zweite Aspekt, dass von der Testperson eine falsche Bedienweise erwartet wurde und der Funktionsumfang eines Bedienelements nicht klar kommuniziert werden konnte. Auch hier ist das Schlüsselsymbol mehrfach auffällig geworden, da es anders als ein Schlosssymbol durch seinen symbolischen Wert eine Art Eingabebestätigung suggeriert, was vor allem für nachträgliche Verzögerungen im Ablauf gesorgt hat, als Marsha den Timer und die Heizstufe der Kochzonen einstellen wollte.
Feedback (F.1)
Das Feedback äußert sich darin, dass Systemzustände wie das Abkühlenlassen der Kochzonen an die Nutzer:innen übermittelt werden. Jedoch war die Statusübermittlung hier meist unzureichend, was sich vor allem in den Anzeigen für die Heizstufeneinstellung zeigte. Für Marsha war es nicht immer ersichtlich, wann das System ihre Eingabe erfasst und verarbeitet.
Feedback (F.2)
Auch eng mit der Inputverarbeitung verbunden traten auch Schwierigkeiten in der Unterscheidung von Zuständen auf, wenn Eingaben gültig oder eben verworfen und damit ungültig waren. Dies äußerte sich erneut bei den Reglern zur Einstellung der Heizstufen und Timer, deren Anzeigen nicht eindeutig vermitteln konnten, ob Marsha eine richtige Eingabe getätigt hat oder nicht.
Handhabung & Ergonomie (H.1)
Wenn es um die Eingabesteuerung und allgemein um Bedienabläufe geht, dann zeigte das Kochfeld häufig eine mangelnde Toleranz für die Art und Weise, in welcher Reihenfolge und über welche Dauer die Eingaben getätigt wurden. Dies erhöhte die tatsächliche Fehleranfälligkeit und verringerte dabei gleichzeitig die Korrekturbereitschaft der Testperson.
Handhabung und Ergonomie (H.2)
Schließlich werden auch die Schnittstellenoptionen für die Benutzung des Bedienfelds erwähnt, die sich inhaltlich mit den unterschiedlichen Ausprägungen von Feedback befassen. So wäre für eine bessere Handhabung denkbar gewesen, eine haptische Schnittstelle in die Tastenfelder für die Heizstufe und den Timer mit einzubauen, um abrupte Zustandsänderungen an die Testperson zu vermitteln. Darüber hinaus hätten auch einzelne Schaltflächen wie die schlüsselähnliche Verriegelungstaste eine solche Schnittstelle dafür gebrauchen können, um ihren Schaltzustand bei Tastendruck unmittelbar zu verdeutlichen.
Gestaltung und Varianten
Für die Gestaltung des Posters sind mehrere Entwürfe infrage gekommen, die allesamt unterschiedliche Layouts und Gestaltungsmotive behandeln. Zu Beginn stand fest, dass das Bedienfeld des Kochfelds als Illustration Platz auf dem Poster findet, um die einzelnen UI-Elemente aus den Texten visuell im Schaubild zuordnen zu können.
Dabei war auch weiterhin gesetzt, dass eine quantitative Auflistung der Kategorien von einer qualitativen Untersuchung gefolgt sein wird, um die zentrale Forschungsfrage beantworten zu können, ob sich die Häufigkeitsanalyse der einzelnen Kategorien auch in der Untersuchung des relativen Schweregrads (auch severity genannt) wiederfinden wird.
Danach stand nur noch die Frage zur Debatte, ob die Erkenntnisse einzeln oder in einem Verlaufsplan, genauer gesagt in einer Zeitleiste auf dem Poster dargestellt werden sollten. Bei einer Auflistung der Erkenntnisse entlang des Zeitstrahls hätte dies viel Platz für die einzelnen Interaktionsbeschreibungen und die Unterkategorien bedeutet. Darüber hinaus ergab sich aus den Analyseergebnissen der Eindruck, dass die in den Insights aufgezeigten Bedienprobleme unabhängig von der Zeit aufgetreten wären. Es hätte also keinen Unterschied gemacht, ob der Test 13 Minuten oder vielleicht nur die Hälfte der Zeit gedauert hätte - es wären höchstwahrscheinlich die gleichen Umstände im gleichen Ausmaß aufgetreten. Aus dem Grund wich ich von meiner ursprünglichen Idee mit der Zeitleiste ab und verfolgte stattdessen eine Phasenleiste zur Vorstellung der Insights, die sich in meinen schriftlichen Aufzeichnungen schon angedeutet hat, als ich die prozentuale Mengenverteilung der Kategorien ermittelt habe.
Resultat
Im Kopfbereich des Posters folgt zunächst eine visuelle Produktpräsentation, die das Bedienfeld mit seinen einzelnen Bedienelementen in einer Zoomansicht vorstellt. Unterhalb davon gibt es eine informative Übersicht zum Forschungsobjekt, in der die Aufgabenstellung, der Steckbrief der Proband:in, Rahmenbedingungen zum Testing sowie wichtige Legenden enthalten sind. Im Hauptbereich des Posters soll die Phasenleiste die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Ausgestattet ist sie mit einer Emotionenkurve, ausgeschmückten Zitaten aus dem Video und quantitativen Vorkommnissen in Form von Kreisen, die auf den visuellen Parameter der Größe setzen. Während der mittlere Abschnitt verstärkt auf die Insights im quantitativen Kontext eingeht, setzt sich der untere Abschnitt im Fußbereich mit der qualitativen Ausprägung, genauer mit dem relativen Schweregrad der Insights, auseinander.
Die Auswertung zeigt, dass das Feedback als am häufigsten vorkommende Kategorie nur als drittstärkste Kraft in Fällen mit hohem Schweregrad (High) Einfluss auf unsere Proband:in ausübt. Dabei ist wichtig anzumerken, dass das Feedback durch seine absolute Häufigkeit mit durchschnittlich jedem zweiten Post-it immer noch in der Überzahl ist mit Fällen schwerster Severity, dicht gefolgt von der Oberkategorie Affordance mit nur einem Fall weniger. Die prozentuale Verteilung zeigt jedoch, dass das Feedback trotz seiner absoluten Überlegenheit in der Häufigkeitsanalyse nur ein knappes Fünftel seiner schweren Härtefälle bedient, während die Affordance und die Handhabung des Kochfeldes mit jeweils einem Drittel ihrer Fälle unsere Testperson am stärksten belasten.
Ausblick und Fazit
Aus der Datensammlung habe ich vereinzelt Muster ausfindig machen können, die sich besonders für erweiternde Datenauswertungen und Interpretationen anbieten würden.
Gepaartes Auftreten von Oberkategorien - z.B. Feedback (F) und Handhabung & Ergonomie (H)
Gepaartes Auftreten von Subkategorien - z.B. F.1 (Statusübermittlung) mit F.2 (Eingabendifferenzierung)
Gepaartes Auftreten von Störfaktoren - z.B. Timerfeld und das t-Symbol, welches als Timersymbol die Bereitschaft des Timers in den Heizstufenanzeigen verdeutlichen soll
Allerdings gibt es auch Anlass zur Kritik, da sich u.a. bei der Gestaltung des Plakates eine Inkonsistenz eingeschlichen hat, die sich aus meinen Beobachtungen und Aufzeichnungen so nicht erklären lässt. Dem Diagramm zufolge hätte es zu dem Zeitpunkt, als Marsha die Verriegelungstaste mit dem Timerfeld assoziierte, einen Anstieg der positiven Emotionen geben müssen, obwohl sie sich davor und danach weitestgehend unsicher verhielt.
Dieser Fall wirft Fragen auf, inwiefern die Einschätzung der Emotionen stimmig ist oder ob beim Mapping der Daten auf die Phasenleiste Rechenfehler aufgetreten sind. Wie kann ich in Zukunft dafür sorgen, dass solche Grenzfälle nicht Anlass zur falschen Interpretation geben? Oder sagt mir die Grafik etwas, das ich bei meiner Arbeit vielleicht nicht berücksichtigt habe?
Mit diesem Beispiel schließt sich also der Kreis, wie genau die Aussagekraft von Datendiagrammen einzuordnen ist. Die ganze Thematik baut im Grunde auf dem breiten Interpretations-spielraum von Zahlen auf, die den Hauptbestandteil meiner Arbeit gebildet haben. Grundsätzlich war es interessant, eigens herbeigeführt in die Bereiche von Infografiken ausweichen zu dürfen. Die besten Praktiken und Methoden zur Datenaufbereitung und -präsentation werden auf jeden Fall Themen bleiben, worin ich in Zukunft weiter Verbesserung sehe. Umso interessanter werden dann Spezialdisziplinen wie die computergestützte Visualisierung von Daten oder in vereinzelten Anwendungsfällen sogar die Berührungspunkte mit Data Science. Zum Schluss bleibt auf jeden Fall die Faszination, wie man mit bewährten Methoden und Forschungsstilen alltägliche Interaktionen mit Fremdgeräten in ihre Bestandteile aufspalten und neue Sichtweisen eröffnen kann.
Die verwendeten Mockups für das Coverbild und die untere Slideshow stammen von LS Graphics. Eine Auswahl von Mockups wird kostenlos angeboten. Sie können für private und kommerzielle Projekte verwendet werden.
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