In der Bachelor-Arbeit im 7. Semester bearbeiten die Studierenden anhand eines frei wählbaren Themas ein Gestaltungsprojekt, in dem sie ihre erlernten Kenntnisse in Recherche, Konzept und Entwurf praktisch anwenden.
Prof. Andreas Pollok, Prof. Dr. habil. Georg Kneer
Hexe, die, [f]
Informationsinitiative zur Wirkmacht eines Mythos
Das Wort „Hexe“ beschwört in den allermeisten Köpfen sehr spezifische Bilder herauf: Sei es auf der einen Seite die böse und kinderfressende Alte aus Hänsel und Gretel mit Buckel, Hakennase und Warze oder im Gegensatz dazu die junge und schlaue Kinderbuch-Heldin Bibi Blocksberg mit blonden Haaren, Sommersprossen und ihrem Besen „Kartoffelbrei“. Eine eindeutige Konnotation dieser fiktiven Figur lässt sich heutzutage nicht mehr ausmachen. Das war nicht immer so, denn die längste Zeit war die Hexe eine ganz eindeutige Antagonistin, der Ursprung allen Übels und der Schrecken der Gesellschaft. Was jedoch damals wie heute auffällt, ist der klar ersichtliche Zusammenhang zwischen Hexerei und Weiblichkeit, der schon allein durch das grammatikalische Geschlecht (Femininum) des deutschen Wortes offensichtlich wird.
Diesem Zusammenhang lohnt es sich auf den Grund zu gehen, denn es steckt weit mehr dahinter als ein bloßer Zufall. Die Dämonisierung der Weiblichkeit, die in der karikaturhaften Boshaftigkeit der Hexe und der daraus resultierenden Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit gipfelte, beginnt bereits mit den Geschichten der ersten Frauen wie Eva (in der biblischen Tradition) oder Pandora (in der griechischen Mythologie). Verkettungen von Ereignissen führten die Frauen in eine gesellschaftliche Bedrängnis, aus der sie sich noch heute zu emanzipieren versuchen.
Aus diesen historischen Erkenntnissen lassen sich Konsequenzen für unser heutiges Handeln ziehen, denn:
„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.” (August Bebel)
Dementsprechend erschien es uns von Bedeutung, mittels einer gestalterischen Intervention über diese Zusammenhänge aufzuklären: Von tertiären Bildungseinrichtungen (Universitäten und Hochschulen) können Informationsmaterialien (in Buchform) und die dazugehörigen „Werbemittel“ (Plakate und Faltblätter) bestellt und verteilt werden. Ergänzend gibt es eine mobile Website sowie themenrelevante Veranstaltungen.
Durchgeführt wird diese Art der Informationsverbreitung und -beschaffung von einer (fiktiven) Tochterorganisation der Bundeszentrale für politische Bildung namens „ZUgeFALLen.de“. Diese Initiative beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Themen, die sich im Laufe der menschengemachten Geschichte durchsetzen konnten und einschlägige Ereignisse und Gesinnungen erwirkten – z. B. Monotheismus, Antisemitismus oder in unserem Fall die Dämonisierung der Frau am Beispiel der Hexenfigur. Mithilfe dieser Aufklärung soll erkannt werden, dass die besprochenen Umstände kein Zufall sind und die Tür zu Veränderung dementsprechend noch nicht zugefallen ist – den Veröffentlichungen wohnt also eine implizite Handlungsanweisung inne.
Buch
Das Herzstück unseres Projekts stellt ein Buch dar, das sich ausgiebig mit folgenden Inhalten auseinandersetzt:
1. „Die Ursünderinnen“: Die ersten Frauen seien an allem schuld, so heißt es in der einschlägigen Geschichtsschreibung. Eva und Pandora stehen in diesem ersten Kapitel als Stellvertreterinnen für das „von Geburt an“ und dementsprechend „von Natur aus“ schlechte Geschlecht. Untersucht wird vor allem, wie es zu diesem Narrativ kommen konnte, das die Grundlage für jahrtausendelange Misogynie bot.
2. „Die Katastrophe“: Einen eindeutigen Höhepunkt der „Verteufelung“ der Frau stellen die Zustände während der Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit dar, einer Epoche, die eigentlich für Rationalität, Empirie und glaubensunabhängigen Erklärungsansätzen steht. Wie also konnten das aufstrebende Universitätswesen, die Säkularisierung der Wissenschaft und die vereinfachte Verbreitung von Wissen die Hexenverfolgung nicht nur dulden, sondern sogar anfeuern? Anhand der Kontextuierung historisch relevanter Ereignisse, Datengrafiken, Schemata und eines persönlichen Schicksals wird innerhalb dieses Kapitels versucht, ein wenig aufklärerisches Licht in diese dunkle Zeit zu bringen.
3. „Der Wandel“: Während die Hexe während der Frühen Neuzeit ganz eindeutig das Böse in seiner Urform darstellte, hat sich in ihrer Wahrnehmung im Laufe der Geschichte doch einiges getan. Vor der schadenbringenden Alten war besonders das Bild einer weisen und etablierten, aber besonders nuanciert wahrgenommenen Hexe gängig. Diese differenzierte Perspektive wurde allerdings im 15. Jahrhundert vollkommen überschrieben. Übrig blieb allein das Bild der eigensinnigen und egoistischen alten Frau, die der Ursprung allen Übels ist. Abgelöst wurde die „Bösewichtin“ von einer sexuell aufgeladenen Frau und schließlich gelang im Laufe des 20. Jahrhunderts die Emanzipation: Die Hexe wurde jetzt vor allem von Frauen in Kunst, Kultur, aber auch Politik und öffentlichem Auftreten für sich beansprucht. Immer noch ist sie eine eigensinnige Figur, allerdings eine selbstbestimmte, die den Wandel von fremdgesteuerter Ent- zu selbstbestimmter Ermächtigung vollzieht.
Auf gestalterischer Ebene versuchten wir das Buch im Großen und Ganzen als eigenständigen und neutralen Ort der Wissensvermittlung zu behandeln. Dementsprechend besteht es vor allem aus erklärenden Schemata, Texten und Datengrafiken. Mit einigen Eingriffen wird dennoch die Sonderstellung und „Ver-rücktheit“ der schrägen Hexenfigur unterstrichen. Eine kantige Schriftart, die „Schieflage“ dieser in besonderen Situationen sowie aneckende Illustrationen brechen die dem Thema angemessene monochrome Nüchternheit auf. Verschnaufpausen werden ebenfalls mittels seitenfüllender Fotografien, die die Thematik auf metaphorischer Ebene visualisieren, garantiert.
Faltblatt
Einen sowohl inhaltlich niederschwelligeren als auch ressourcenschonenderen Zugang zum Thema der Hexe gewähren wir durch ein kostenlos ausliegenden Faltblatt. Auf diesem werden zwei jeweils unrealistische Extrema der Frauenfigur miteinander verglichen: die liebende und selbstlose Mutter (in überzeichneter Form sogar die jungfräuliche Gottesmutter Maria) auf der einen Seite und die niederträchtige und eigennützige Hexe auf der anderen. Diese beiden Stereotype können durch das zweiseitig lesbare Faltblatt in Leporello-ähnlicher Form miteinander verglichen werden. Ein eigenständig funktionierendes Motiv auf der Rückseite dient als Plakat für Studi-WGs oder ähnliche private Räume.
Plakate
Plakate dienen sowohl der Bewerbung der gesamten Initiative als auch der Auszeichnung der Verkaufsstellen für das Buch. Letztere sind in ihrer Gestaltung an das Buch-Cover angelehnt und dienen vor allem der räumlichen und auf die Ferne erkennbaren Kennzeichnung von „Vertriebsorten“.
Auf großformatigeren Plakaten wird auf die Initiative im Allgemeinen (Thema, Inhalte, Zeitraum, Materialien) sowie auf die Website im Speziellen hingewiesen. Dieser allumfassendere „Alltags-Störer“ kann in teilnehmenden Universitäten und Hochschulen sowie in deren geografischem Umfeld aufgehängt werden, um auf die Thematik und die dazugehörigen Aktionen aufmerksam zu machen.
Gestalterisch orientiert sich dieses Plakat eher am Innenteil des Buches und referenziert direkt die Landingpage der mobilen Website. Diese ist über das Plakat via QR-Code sowie die ausgeschriebene URL erreichbar.
Website
Durch die Übersetzung unserer Gestaltung auf das Web schaffen wir gleichzeitig den thematischen Übertrag auf die Moderne. Auf der mobilen Website können verschiedene Bereiche der Hexenthematik erforscht werden: In einer Wörtersammlung werden noch heute gebräuchliche Hexenbegriffe, wie z. B. „Hexenschuss“, „Hexenkessel“ oder die politisch aufgeladene „Hexenjagd“ untersucht und die dazugehörenden Phänomene und Trends erklärt. Außerdem wird hier noch einmal das Grundprinzip der Initiative ZUgeFALLen.de aufgegriffen: Wir können aus der Geschichte lernen und mit diesen Erkenntnissen die Gegenwart und die Zukunft mit gestalten. Durch eine assoziative Abfrage wird deutlich, wie die Hexenfigur heutzutage aufgeladen ist, die Eingaben werden in Form einer Datenvisualisierung dargestellt und die eigenen Antworten können so direkt mit denen anderer Nutzer*innen verglichen werden. Dadurch wird die Formbarkeit von Worten und die über eine Definition hinausgehende Bedeutung von Begrifflichkeiten verdeutlicht.
Zum Schluss
Vielleicht mag es pathetisch oder offensichtlich klingen, aber wir haben im Zuge unseres Projektes an diesem sehr spezifischen Nischenthema erkannt, wie viel man aus der bewegten Geschichte der Menschheit lernen kann. Hierbei erscheint es uns besonders wichtig, diese „Vergangenheit“ außerhalb von (für viele angestaubt anmutenden) Geschichtsbüchern zugänglich zu machen. Dies muss sowohl in angemessenem Rahmen als auch mittels inhaltlich und visuell entsprechender Aufbereitung geschehen, damit die richtigen Rückschlüsse getroffen werden. Dabei soll die Didaktik des „erhobenen Zeigefingers“ wenn möglich vermieden werden, sodass das Gelernte auf fruchtbaren Boden fallen kann.
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Kai-Uwe Lehanka / www.lehanka.de
LB
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