Klangpunkt

Spielerisches Entdecken der Brailleschrift

„Wie in den Kopf reinhämmern” – so beschrieb einer unser blinden Interviewpartner den Prozess des Braillelernens. In dieser Blindenschrift sind Buchstaben durch eine bestimmte Kombination an Punkten in einem 6-Punkt-Raster kodiert. Diese Kombinationen werden von blinden und seheingeschränkten Menschen auswendig gelernt, um lesen zu können, was meist wenig Spaß bereitet und anstrengend ist.

Hier kommt das Projekt „Klangpunkt“ zum Einsatz. „Klangpunkt“ ist ein inklusives Lernspiel für blinde, seheingeschränkte, aber auch sehende Kinder. Das Ziel des Projektes ist es, Kinder spielerisch an das Lesenlernen und Erkunden der Buchstaben heranzuführen. „Klangpunkt“ spannt eine Brücke zwischen dem gewöhnlichen Schriftsystem der Schwarzschriftbuchstaben und der Brailleschrift, konzentriert sich auf die Gemeinsamkeiten und das Wertschätzen der Unterschiede und versucht so, zu mehr Gemeinschaft beizutragen. Das Spiel richtet sich an Familien mit blinden Kindern im Lesenlernalter, deren Freunde und Bekannte sowie inklusive Kindergärten, Schulen und Sonderpädagogische Bildungszentren und kann dort vielseitig verwendet werden.

Wie funktioniert das Spiel?

„Klangpunkt“ ist kein Spiel im klassischen Sinn – es gibt kein Ziel und niemand kann gewinnen. Es gibt nicht den einen Weg, es zu spielen und die Anleitung ist individuell interpretierbar. Stattdessen geht es darum, zu entdecken, zu erkunden und sich für Schrift zu begeistern. Jedoch kann nicht nur ein blindes Kind sein Schriftsystem spielerisch entdecken – auch die sehenden Mitschüler:innen werden an die Schwarzschrift herangeführt und gleichzeitig für das andere Schriftsystem, die Brailleschrift, sensibilisiert. Das Spiel besteht aus mehreren Komponenten, die im Folgenden erläutert werden.

Die erste Komponente des Spiels stellen 26 Buchstabenkarten da, die jeweils einen Buchstaben des Alphabets vorstellen. Die Vorderseiten der Karten beinhalten einfache, flächige Illustrationen, die taktil erfassbar sind. Die zwei kontrastreichen Farben der jeweiligen Karte lassen sich auch für farbenblinde Personen differenzieren. Außerdem sind große Schwarzschriftbuchstaben, bei denen die Braillepunkte ertastbar sind, auf den Karten aufgebracht. Sehende Kinder bemerken so erstmals die Verbindung der Braillepunkte zur Schwarzschrift.

Auf der Rückseiten der Karten können in beiden Schriftsystemen Alliterationssätze gelesen werden, die Braille ist hierbei genormt. Die Alliterationen beinhalten möglichst viele Worte mit dem jeweiligen Buchstaben, damit man leicht eine Verbindung zwischen Illustration, Buchstabe und Satz bauen kann. Es gibt eine zusätzliche Anleitungskarte, die kindgerecht die Verwendung der Braillesteckmodule erläutert.

Die Braillesteckmodule bestehen aus einem sichelförmigen Holzkästchen, das sechs Löcher für die Braillepunkte aufweist. Im Gegensatz zu einer herkömmlichen Steckzeile bieten einzelne Steckmodule Flexibilität und mehr Freiheiten.
Zudem besitzen sie einen auditiven Mehrwert: Jeder Braillepunkt ist mit einer spezifischen Pianonote kodiert. So erhält jeder Buchstabe einen einzigartigen Klang, ein Name ergibt eine ganze Melodie. Im Steckmodul versteckt findet ein Arduino-Mikrocontroller Platz, der den Input von sechs Buttons verarbeitet und daraufhin Töne über einen Lautsprecher ausgeben kann. Zum Braillemodul gibt es Holzstecker sowie passende Schwarzschrift-Holzbuchstaben, die dazu gedacht sind, die Braillebuchstaben im Modul zu kontrollieren und blinden Kindern zu zeigen, wie sich die Schrift für sehende Menschen anfühlt.

Wir entwickelten für die Holzbuchstaben eine Schrift, die Braille und Schwarzschrift kombiniert und eine Brücke zwischen beiden Schriftsystemen schaffen und Kommunikation und Verständnis fördern soll. Dies hilft sehend geborenen, später erblindeten Kindern dabei, die Verbindung zwischen den Schriftsystemen zu erkennen und sich die Punktkombinationen einfacher zu merken. Sehende sowie von Geburt an erblindete Kinder lernen, dass nicht nur ein Schriftsystem existiert. Die Kreise der Braille sind farblich einfärbbar. Wenn man die Schrift in Normgröße druckt, kann mit einer Brailleschreibmaschine über den Druck gestanzt werden, so können blinde und sehende Menschen dasselbe Dokument lesen.

Das Begleitheft ist Eltern sowie Lehrkräften Anleitung und Anregung zugleich sein, wie das Lernmaterial zu handhaben ist und welche Möglichkeiten für den Gebrauch Daheim sowie in Lehreinrichtungen offen stehen. Das Heft inkludiert Beispielaufgaben, wie die Module, Karten und Buchstaben genutzt werden können. In anderen Aufgaben werden die Kinder bewusst dazu bewegt, auch ihre Umgebung einzubinden und sich nicht nur mit den Materialien selbst zu beschäftigen.

Des Weiteren wurden für Klassenzimmer und Kinderzimmer ABC-Plakate gestaltet, bei denen die übergroßen Buchstaben taktil erfassbar sind. Auch die ABC-Postkarten, die man in Klassen an die Schüler:innen verteilen kann, beinhalten ein taktil erfassbares Braillealphabet in Normgröße.

Die gesamten erwähnten Materialien finden in der Klangpunkt-Box Platz. Die Box trägt ein haptisch erfassbares Logo auf dem Deckel, sodass auch dieser Part für seheingeschränkte Menschen begreifbar ist. Die wichtigsten Angaben sind auch in Braille auf der Box vorzufinden. Innerhalb der Verpackung werden die Buchstabenkarten duch herausnehmbare Schachteln von den Braillemodulen getrennt. In die Schachteln können die Buchstaben und Pins einsortiert werden. Der herausnehmbare Aspekt ist besonders wichtig, da blinde Kinder sich besser orientieren lönnen, wenn die einzelnen Spielelemente einen bestimmten Platz haben und aufgeräumt werden können.

Die Website stellt ein Infoportal zum Projekt dar. Auch stellt sie die Produkte vor und leitet zu einem fiktiven Shop zum Nachkaufen der Spielkomponenten weiter. Ebenfalls werden viele Elemente des Spiels als Open-Source-Materialien gemeinsam mit einem Audioguide zum Download zur Verfügung gestellt. Anleitung zum DIY-Nachbasteln der Karten und Module sind ebenfalls auf der Website zu finden. Die Website ist derzeit noch nicht öffentlich verfügbar, sondern lediglich als Figma-Prototyp vorhanden.

Das Projekt verfügt auch über einen Instagram-Account, über den Fotos, Impressionen und Ideen der Spieler:innen mit den User:innen geteilt werden. Auch werden Behind-the-Scenes-Bilder des „Klangpunkt“-Prozesses veröffentlich. Generell wird auf eine nahbare, persönliche Atmosphäre geachtet, wodurch um den Account auch eine Community um Eltern und Lehrkräfte blinder Kinder entstehen kann.