In der Bachelor-Arbeit im 7. Semester bearbeiten die Studierenden anhand eines frei wählbaren Themas ein Gestaltungsprojekt, in dem sie ihre erlernten Kenntnisse in Recherche, Konzept und Entwurf praktisch anwenden.
Die Murmelbahn „Kula“ ist ein inklusives Spielgerät für öffentliche Spielplätze. In einem modularen System werden einzelne Spielstationen durch Murmelbahnstrecken zu einem geschlossenen Kreislauf verbunden, aus dem die Murmeln nicht entnommen werden können. Die Spieler bewegen sich von Station zu Station und lösen dort unterschiedliche Aufgabenstellungen, um die Murmel weiterzubewegen.
Die Stationen von „Kula“ fördern gezielt das individuelle oder kooperative Spiel von Menschen, unabhängig von deren Herkunft, Aussehen, Geschlecht, geistigen und körperlichen Fähigkeiten, ihrem Alter oder ihrem sozialen Umfeld. Jeder darf und kann mitspielen. Spielerisch werden gleichzeitig kognitive, kommunikative und motorische Fähigkeiten trainiert.
Die Schlüsselmerkmale dieser Murmelbahn bilden in ihrer Kombination einen völlig neuartigen Spielansatz. Die Murmel, eine Holzkugel von 60 mm Durchmesser, kann nicht herausgenommen werden. So ist das System jederzeit einsatzbereit, ohne, dass eine Murmel gekauft oder mitgebracht werden muss. Die Anlage ist durchgängig barrierefrei gestaltet. Auf einem stolperfrei gepflasterten Rundweg mit Ausweichstellen an den Stationen können sich Menschen mit motorischen Einschränkungen und Menschen im Rollstuhl mühelos bewegen. Geländer von Station zu Station mit Infotafeln in Großschrift und Blindenschrift erleichtern die Bewegung und Orientierung.
Der modulare Aufbau des Murmel-Rundkurses ermöglicht jederzeit den Einbau zusätzlicher Stationen.
Manche Stationen lassen sich leichter in Teams von zwei oder mehr Spielenden lösen, wodurch das kooperative Spiel gefördert wird. Alle Stationen sind so ausgelegt, dass Menschen mit unterschiedlichsten Begabungen und körperlichen Fähigkeiten diese bedienen können. Dabei spricht das durchgängige Zwei-Sinne-Prinzip immer mindestens zwei der Sinne Sehen, Hören und Tasten an.
Unterschiedliche Lösungsvarianten sind möglich, so dass die Spielenden neugierig bleiben und keine Langeweile aufkommt. Die Spieler verbessern sich stetig und werden immer schneller. Dadurch entsteht ein gemeinsames Erfolgserlebnis.
Beim Spiel mit meinem Ausstellungsmodell hatten die Kinder viel Spaß. Sie wollten gar nicht aufhören zu spielen. Schnell fanden sie heraus, dass ihr Spiel durch gegenseitige Tipps und eine Anpassung der Spielstrategie stetig flüssiger und besser wurde. Obwohl das Modell nur zwei der fünf ausgestalteten Stationen enthält, beendeten sie ihr Spiel nach einer vorgegebenen Zeit von 20 Minuten nicht, sondern spielten mit wachsender Begeisterung und neuen Ideen noch sehr lange weiter. Sie waren sichtlich stolz auf ihre Fortschritte, blieben in Bewegung und lachten viel.
In einem voll ausgestatteten Rundkurs entstehen viele zusätzliche Möglichkeiten.
Ist beispielsweise einem Teilnehmer eine Aufgabe zu schwierig oder die Station durch andere Spieler belegt, kann er per Murmelweiche eine Umgehungsstrecke wählen und die Station überspringen. Niemand soll überfordert werden und der Spaß immer im Mittelpunkt stehen.
Die Bahn
Die Bahn lässt sich beliebig erweitern. Die in regelmäßigen Abständen platzierten Füße ermöglichen ein sicheres Verschrauben mit Stelen, die in Betonfundamenten verankert werden. Es gibt verschiedene Varianten, wie die Bahn in eine Station mündet.
Das Kürzen einzelner Stabenden ermöglicht es, die Bahn in jedem Winkel in die Stationen münden zu lassen.
Hier wurde das obere Ende der Bahn dem Murmelradius entsprechend gebogen und die unteren beiden Stäbe der Bahn gekürzt. Die Murmel fällt am Ende immer senkrecht nach unten. Es entsteht dabei keine Lücke, durch welche die Murmel aus dem System entnommen werden kann.
Vereinzelung
Um zu verhindern, dass Murmeln unkontrolliert in die Stationen rollen und die Kinder beim Spielen behindern, wird eine Vereinzelung verwendet. Diese ist vor jeder Station angebracht.
Ein Bügel, der mittig unter den beiden unteren Stangen der Bahn angebracht wird, blockiert in der Grundstellung die vordere Murmel. Die Zugfeder am hinteren Ende hält den Bügel auf Position. Dieser ist mittig durch ein Drehgelenk gelagert. Am anderen Ende ist ein Seil befestigt. Zieht ein Spieler am Seil, wird die vordere Murmel befreit und die nächste in der Reihe blockiert. Sobald die Murmel in der Station angelangt ist, lässt der Spieler das Seil wieder los und die Zugfeder bringt den Bügel zurück in die Grundstellung. Jetzt können die anderen Murmeln in der Reihe bis zum Anschlag nachrücken.
Die Stationen
Balkenlabyrinth
Der Drehpunkt des Balkens liegt mittig zum Startloch. Hier kommt die Bahn Variante 2 zum Einsatz. Die Murmel fällt dabei immer in das Startloch, unabhängig von der Winkelstellung des Balkens. Dort wird die Murmel von der ersten Barriere gestoppt. Nun liegt es an den Spielern, den Balken durch Ziehen an dem Seil so zu positionieren, dass die Murmel die Durchgänge zwischen den Barrieren erreicht und eine Reihe tiefer gelangt. Wegen der verschiedenen Wegeoptionen ist eine gute Absprache nötig, da jeder Spieler den Balken nur auf Zug bewegen kann. Kommunikative und kognitive Fähigkeiten werden hier trainiert.
Das Seilende ist so gestaltet, dass es verschiedene Griffoptionen bietet. Es kann das Seil selbst gegriffen werden, die Holzkugel oder die Schlaufe. Selbst bei Greifproblemen oder mit einem Armstumpf ist das Mitspielen problemlos möglich.
Steckturm
Die Murmel rollt von der Bahn direkt auf den Boden des Turms. Durch einen kleinen Versatz zwischen dem Eingangsloch und dem Boden des Turms wird verhindert, dass die Murmel zurückrollt.
Jeder Spieler bedient einen Griff. Ein Spieler kann immer nur stecken, nach oben hebeln und die Murmel auf der Position halten. Dann übernimmt der andere Spieler. Dieses Prinzip wird fortgesetzt, bis die Murmel das Zielloch erreicht und in der Bahn weiter zur nächsten Station rollt. Die Herausforderung besteht in der guten Absprache der Spieler.
Die Station trainiert neben Kommunikation besonders die Motorik und fördert die Auge-Hand-Koordination.
Drehrassel
Durch das Drehen des inneren Drehkörpers am Drehknauf wird die Murmel vom Eingang zum Ausgang bewegt. Das Rollen der Murmel über einzelne, klingende Metallstäbe lässt den Spieler die Bewegung der Murmel rein akustisch verfolgen. Hier können auch blinde Menschen mit viel Spaß mitspielen.
Der äußere Edelstahlzylinder mit den Ein- und Ausgangsröhren ist starr. Er verhindert das Auftreten von Scher- und Quetschstellen.
Der Drehknauf ist so gestaltet, dass man ihn mit der Hand greifen oder auch mit einem Stumpf bedienen kann. Ein Umgreifen, das beispielsweise Menschen mit spastischen Einschränkungen schwerfällt, ist nicht notwendig.
Kipperwand
Wer errät, wo die Murmel landet?
Wegen der Anschläge können die Kippsterne immer nur in eine Richtung kippen.
Wer das System versteht, kann erraten, wo die Murmel ankommt. Über die äußeren Kippsterne kann der Spieler selbst Wege vorgeben.
Gemeinsames Rätseln steht hier im Mittelpunkt.
Beim Umklappen eines Kippsterns schlagen die Flügel gegen den Metallanschlag. Dabei entsteht ein heller Klang, der die Bewegung hörbar macht. Die Bewegungsrichtung der Murmel kann deshalb durch reines Hören ohne hinzusehen ermittelt werden. Blinde Spieler sind hier durch ihr trainiertes Stereo-Hören im Vorteil.
Klappenlift
Die Kugel fällt durch das Loch der Plexiglasscheibe in die untere Startposition. Ein Edelstahlstift verhindert das Herausfallen nach unten. Er lässt den Schwenkbereich der unteren Klappe frei und hält die Murmel in der optimalen Startposition. Durch abwechselndes Betätigen der Klappen wandert die Murmel nach oben, bis sie die Zielöffnung erreicht und ihren Weg durch die Murmelbahn fortsetzt.
Die Station kann von bis zu 10 Spielern bedient werden. Da die Bahn die beiden Seiten trennt ist es von Vorteil, mindestens zu zweit zu sein.
Die Bedienung der Klappen kann mit den Fingern, der Handfläche oder dem Handgelenk erfolgen. Das ermöglicht auch Menschen mit geringer Griffkraft oder einer Spastik die Teilhabe. Gleichzeitig haben diese Menschen hier die Möglichkeit, das Greifen zu trainieren. Auch die Kommunikation und die kognitiven Fähigkeiten werden gefördert.
Generelle Gestaltung
Neben der funktionellen Auslegung der Stationen und Bahnabschnitte war mir eine hochwertige Gestaltung aller Stationen wichtig. Daher habe ich die gestalterische Umsetzung folgender Merkmale in den Mittelpunkt meiner Arbeit gestellt:
Sichtbarkeit funktionaler Elemente für eine selbsterklärende Bedienung
Einheitliche Radien, Abstände und Größenverhältnisse
Naturbelassene Materialien
Der Kontrast von Holz und Edelstahl für eine hochwertige Anmutung
Einheitliche Verwendung von Schraub- und Schweißverbindungen statt Klebeflächen
Steinwege statt Asphalt, Beton oder EPDM-Kunststoffgranulat
Durchgängige Barrierefreiheit
Über die Formensprache hinaus wurde auf eine fertigungsgerechte Konstruktion Wert gelegt. Alle Einzelteile können mit konventionellen Fertigungsverfahren in gut ausgestatteten Werkstätten bewältigt werden. Auf besonders kostenintensive Methoden, beispielsweise dem 3D-Druck von Metallteilen habe ich bewusst verzichtet. Die Einzelteile werden über Schraubverbindungen zusammengefügt. Das erleichtert die Montage und reduziert die Gesamtfertigungskosten. Auch die Nachhaltigkeit wurde dabei bedacht, indem beschädigte oder verschlissene Komponenten einfach ausgetauscht werden können.
Entwicklungsprozess
Ziel meiner Bachelorthesis war die Entwicklung von inklusiven Spielgeräten für einen Spielplatz. Zur Erreichung dieses Ziels habe ich einen mehrstufigen Prozess durchlaufen. Die wesentlichen Phasen dieses Prozesses waren:
Literatur und Internet-Recherche zum Thema Inklusion und Spielplatzgestaltung
Austausch über Erfahrungswerte des Kooperationspartners KuKuk Freiflug GmbH
Interviews beim Kinderzentrum Maulbronn und der Familienherberge Lebensweg
Analysephase zur Bewertung der Rechercheergebnisse
Erstellung meiner Anforderungsliste
Sammlung von Projektideen
Zeichnen von Skizzen
Entscheidung für das Projekt Murmelbahn
Skizzen zu den Stationen, Wege und der Bahn
Erste Funktionsmodelle aus einfachen Materialien
Optimierung der Modelle
Usertests
CAD Konstruktion der Stationen und der Bahn mit Rhinoceros 3D
Erstellung eines Ausstellungsmodells
Praxistest des Ausstellungsmodells mit Kindern und Erwachsenen
Fazit
In einem mehrstufigen Prozess wurde ein funktionales und designorientiertes Spielkonzept herausgearbeitet.
Während meiner Bachelorarbeit entstand eine hohe Motivation, die erarbeiteten Konzepte und die gewonnenen Erkenntnisse später tatsächlich in Projekten auf öffentlichen Spielplätzen umzusetzen. Mit der Murmelbahn „Kula“ ist aus meiner Sicht ein wirklich inklusives Spielgerät für öffentliche Spielplätze entstanden. Dabei war mir wichtig, dass die Geräte nicht speziell für Menschen mit Behinderungen, sondern für alle Menschen gleichermaßen gestaltet werden. Jeder darf und kann mitspielen. Alle Spielplätze sollten in diesem Sinne gestaltet werden und damit die Inklusion eine Selbstverständlichkeit sein.
Die Usertests während der Entwicklungsphase und der im Video gezeigte abschließende Test mit Kindern am Ausstellungsmodell haben gezeigt, dass meine Erwartungen an das Produkt erfüllt werden. Die Spielenden verbessern kontinuierlich ihre kognitiven, motorischen und sensorischen Fähigkeiten, ohne dies bewusst wahrzunehmen. Die Freude am gemeinsamen oder individuellen Spiel steht immer im Mittelpunkt.
Kommentare
David
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